Großsachsen und Leutershausen:

Aus gemeinsamer Wurzel entstanden,
getrennte Wege gegangen,
wieder zusammengefunden.

- Vortrag von Rainer Gutjahr -
(siehe weiter unten)



Buchhinweis

Quo vadis Hirschberg?

Wie in dem hervorragenden Vortrag des Historikers Herrn Rainer Gutjahr zu lesen ist, hatten beide Gemeinden eine gemeinsame Wurzel. Sie wurden im Laufe der Geschichte und der wechselnden Besitzverhältnissen getrennt.
Seit dem 1. Januar 1975 sind beide Gemeinden wieder vereint. Im Zuge der Gebietsreform in Baden-Württemberg haben sich beide freiwillig zur Gemeinde Hirschberg zusammen geschlossen.
Ich finde, das war klug und vorausschauend, denn beide Gemeinden hätten für sich alleine nicht weiter existieren können. So hat Hirschberg in der Zukunft größere Chancen sich weiter zu entwickeln. Um es etwas visionär auszudrücken: Vielleicht wird Hirschberg ja einmal eine kleine Stadt. Aber, das ist eben nur eine Vision. So weit wird es wahrscheinlich nicht kommen. Es sei denn, man würde lernen, „Hirschbergerisch“ zu denken und nicht in den alten Schablonen von „Hause“ und „Saase“. Beide Ortsteile müssen sich in Augenhöhe gleichberechtigt gegenüber stehen und Entscheidungen müssen zum Wohle der gesamten Bevölkerung getroffen werden. Da ist noch viel Arbeit zu leisten. Es liegt an uns allen, Hirschberg eine Chance zu geben.

Willi Eck


Wappen
der Gemeinde Hirschberg

Großsachsen und Leutershausen:

Aus gemeinsamer Wurzel entstanden,
getrennte Wege gegangen, wieder zusammengefunden.


Rainer Gutjahr - Vortrag Hirschberg, 16.06.2006

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Vor uns erscheint das Hirschberger „Allianzwappen“, wie es seit 1977 in Gebrauch ist. Es ist Symbol für die Vereinigung von Großsachsen und Leutershausen zur Gemeinde Hirschberg am 1. Januar 1975. Zwei zuvor in langen Jahrhunderten selbständige Gemeinwesen wurden unter nicht unerheblichen Bedenken auf beiden Seiten zu einer Gemeinde zusammengefügt. Der Graben, den es dabei zuzuschütten galt, scheint beispielsweise in folgendem Mundartgedicht von Lina Berg auf:

                                             „Laafscht vun Woinem nuff nach Litzelsaase,
                                             Do haaßts: Hinkle, Ente, Gäns und Hase,
                                             In Groußsaase, ‚do isch’s grouß’ un schee’,
                                             Un in Hause ‚kannscht’ ins ‚Lamm un danze’ geh“.

Das Gedicht verweist darauf, dass zwischen Großsachsen und Leutershausen eine ausgeprägte Mundartgrenze verläuft. So weist die Großsachsener Mundart mehr Gemeinsamkeiten mit Weinheim auf als mit dem benachbarten Leutershausen.

Derartige Mundartgrenzen wiederum verweisen vielfach auf unterschiedliche territoriale und kirchliche Zugehörigkeiten der betreffenden Gemeinden. Tatsächlich könnten die komplizierten kirchlichen Verhältnisse und das besondere Herrschaftsgefüge zu dieser Verwerfung beigetragen haben.

Und doch gilt: Großsachsen und Leutershausen sind aus einer Wurzel entstanden. Teilweise gingen dann die beiden Gemeinwesen getrennte Wege und nahmen unterschiedliche Entwicklungen. Gleichwohl gab es vielfältige Bindungen und schließlich die Wiedervereinigung, wenn wir so wollen.

 Diese Aspekte sollen unseren heutigen Vortrag leiten

1904 fand man im Gewann Kissel halbwegs zwischen Großsachsen und Leutershausen die sterblichen Überreste einer jungen Keltin. Ob wir sie zur Urmutter der Hirschberger erheben dürfen? Mit Sicherheit nicht. Aus welchen Provinzen des römischen Reiches die Bewohner der Villa rustica stammen, wissen wir nicht.

Und ob die Alamannen, die vorübergehend nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft in den Ruinen der Villa rustica siedelten, ihre genetischen Fingerabdrücke im späteren Hirschberg hinterlassen haben, ist ebenfalls ungewiss.

  Alamannischer Krieger

Anders sieht das schon mit der merowingerzeitlichen Bevölkerung etwa ab der Zeit nach 500 aus. Der Siedlungsplatz „Sachsenheim“ ist seit dieser Zeit kontinuierlich besiedelt; die drei Sachsenorte und das spätere Leutershausen haben in diesem Sachsenheim ihre gemeinsame Wurzel.

Ob die Neuankömmlinge in der Zeit der Merowinger Franken waren oder ob sie nicht doch dem Stamm der Sachsen zuzurechnen sind, lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit festlegen. Immerhin spricht eine breit angelegte neuere Forschung dafür, dass der Saxo, dessen Erinnerung im Namen der Sachsenorte fortlebt, ein sächsischer Adliger war. 877 wird dann der Siedlungsplatz „Husa“, Hausen, erwähnt. Es befindet sich hier ein Herrenhof (curtis) samt einer Kirche (basilica); diese sind zu dieser Zeit im Besitz des Grafen Luither. Er selbst oder seine Vorfahren haben von ihrem Sitz in „altera Sassenheim“, dem anderen Sachsenheim, die Ausbausiedlung Hausen errichtet. Auch Luither wird einer sächsischen Familie zugeordnet. Sein Name diente schließlich dazu, unser Hausen von vielen anderen Orten gleichen Namens abzuheben.

 Lorscher Codex mit der Ersterwähnung von Sachsenheim  779

 Die genannte Kirche wird als Vorgänger der heutigen evangelischen Kirche zu Leutershausen angesehen. Sie gehörte zwar zunächst in den größeren Verbund der Pfarrei der Sachsendörfer, d. h. zur Kirche Hohensachsen, bevor die eigene Pfarrei Leutershausen errichtet wurde. Ich möchte aber die Feststellung wagen, dass die frühe Existenz eines eigenen Kirchengebäudes das Ausscheiden Leutershausens aus dem Verbund der Sachsendörfer befördert hat. Dazu passt auch, dass das Kloster Lorsch, als Besitznachfolger des Grafen Luither Leutershausen zur Villikation erhob, zum zentralen Verwaltungs- und Gerichtsort seines Herrschaftsbereichs zwischen Weinheim und Schriesheim. Der Klostermeier oder „villicus“ verwaltete den Lorscher Klosterbesitz und die daraus fließenden Einkünfte. Er beaufsichtigte die vom Kloster abhängigen Leute und sorgte für die Durchführung der drei jährlichen Hauptgerichtstage. Den Platz des Lorscher Klosterhofes dürfen wir wohl beim „alten“ Rathaus suchen, in der Nähe der Kirche und des Pfarrhauses und der Leben spendenden Quelle des Lindenbrunnens. Hier stellte am 2. Dezember 986 der Lorscher Abt Gerbodo eine Urkunde aus.

Auch für die spätere Entwicklung Leutershausens zum „Adelsdorf“ trafen die Lorscher Äbte die entscheidenden Weichenstellungen. Zur Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit und zum Schutz ihrer Rechte bedienten sich kirchliche Institutionen so genannter Vögte. Das waren mehr oder minder mächtige weltliche Herren. Diese wurden für ihre Dienste durch die Beleihung mit kircheneigenem Land samt den darauf sitzenden Leuten entschädigt.

Auf diesem Wege kam die Herrschaft über Leutershausen im 12. Jahrhundert an eine mächtige Familie, die in der Burg Lindenfels ihren Herrschaftsmittelpunkt besaß. Auf sie geht möglicherweise bereits die heute namenlose Burg auf dem Schanzenköpfle über Leutershausen zurück. 1142 erscheint dann ein „Cunradus de Hirzberg“. Er wird als „nobilis“ bezeichnet; stammte damit aus einer edelfreien Familie, deren genaue Herkunft im Dunkeln liegt. Er war Inhaber von Vogtsrechten und mit Lorscher Lehensgütern in Leutershausen und Sachsenheim begabt.

Sein Sitz war die Burg auf dem Schanzenköpfle, die heute allgemein als die Ur-Hirschburg angesehen wird. Die Edelfreien von Hirschberg starben im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts aus. Sie hatten allerdings noch ihren Sitz von der Burg auf dem Schanzenköpfle bergabwärts an die Stelle der jetzigen Hirschburg verlegt. Um die Sache etwas zu verkomplizieren: noch zu Zeiten der Edelfreien von Hirschberg saßen Dienstleute des Klosters Lorsch auf der Hirschburg, vermutlich als Lehnsmänner der Hirschberger, und um die Verwirrung noch zu vergrößern, nannten auch sie sich „von Hirschberg“, allerdings nicht „nobiles“ sondern, ihrem minderen, unfreien Stand gemäß „milites“, was als Ritter übersetzt wird.

Siegel des Merkel von Hirschberg 1283

Ruine der Hirschburg

Sie wandten sich in einem komplizierten Vorgang vom Kloster Lorsch ab und der neuen Macht am unteren Neckar zu: den Pfalzgrafen bei Rhein (1156 Konrad von Staufen), die damit an der Bergstraße Fuß fassten. Mit dem Aussterben der Edelfreien von Hirschberg wurden sie zu den tatsächlichen Herren über Leutershausen.

Als ihre Lehnsleute fungierten die milites von Hirschberg. Neuere Forschungen machen es wahrscheinlich, dass einer von diesen kein anderer als der in der deutschen Geschichte wohlbekannte Markward von Annweiler war. Er trug den Leitnamen der Hirschberger Ritter: Markward und wurde zusammen mit seinem Sohn Dietrich von Kaiser Heinrich VI. und dem deutschen König Philipp von Schwaben mit Leutershausen und Sachsenheim belehnt. Er war bis zu seinem Tod 1202 unter anderem für den Stauferkaiser Friedrich Barbarossa als Diplomat, Krieger und Heerführer in Italien, Sizilien und Kleinasien tätig: wenn er tatsächlich dem Geschlecht der Hirschberger zuzuordnen ist, so dürfen wir annehmen, dass in seinem Tross der eine oder andere Knecht aus Leutershausen oder Großsachsen seine Abenteuer geteilt hat.

Rechts: Markward von Annweiler

Die Herrschaft der Ritter von Hirschberg hat das Leutershausener Ortsbild geprägt:

Da ist das „Herrschaftszentrum“ um den Oberen Hof, auch Wasserhof genannt – hier steht heute die Katholische Kirche - daran anschließend der Untere Hof – auf seinen Platz steht das Schloss der Grafen Wiser – gegenüber der Frankensteiner Hof – heute katholisches Pfarrhaus. Den Ort umgab ein Bannzaun, dessen Instandhaltung die Junker von ihren Leutershausener Untertanen immer wieder einforderten. Dem Bannzaun vorgelagert war ein Graben.

 Das Kloster Schönau und seine Klosterhöfe

Als besonderes Kennzeichen können die drei Tore mit ihren Torhäusern gelten: das Schriesheimer, das Ladenburger und das Großsachsener Tor, von dem sich ein bescheidener Überrest erhalten hat.

 Leutershausener Ortsplan von  1774

Großsachsener Tor    

Immerhin kann uns noch das alte Rathaus mit seiner Durchfahrt einen Eindruck davon vermitteln, wie sich die Ortseingänge bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts darboten.

 Besonderer Beliebtheit bei ihren Untertanen erfreuten sich die Junker verständlicher Weise nicht. 1543 beschwerte sich Adam von Hirschberg darüber, dass die „Weiber“ zu Leutershausen seine Weinbeseher „mit bösen unzüchtigen Worten“ schmähten.

Die Großsachsener wiederum, von denen die Junker Hirschberg verschiedene Naturalzinsen zu fordern hatten, taten einiges, um die Junker dabei zu hintergehen oder unmittelbar zu schädigen.

Das Wappen des Arnolt von Hirschberg
im Lehensbuch des Kurfürsten Friedrich I. von 1471

Spätestens im 15.Jahrhundert erwarben die Junker Hirschberg einen Stadthof in Ladenburg (Bettendorfer Hof / Jesuitenhof) und verlegten damit ihre „Residenz“ in das Umfeld des in Ladenburg residierenden Bischofs von Worms. Hier konnten sie auch standesgemäßen Umgang mit anderen Adelsfamilien pflegen. Nach Leutershausen kamen sie wohl nur noch gelegentlich zur Jagd oder um im Dorf nach dem Rechten zu sehen. Auch begruben sie ihre Toten fortan nicht mehr allein in der Kirche zu Leutershausen, sondern in der Ladenburger Galluskirche.

Abgegangene Grabplatte des Heinrich Adam von Hirschberg (gest. 1587) in der Galluskirche zu Ladenburg
(aus der Inschrift: Leben wir so leben wir dem Herrn, sterben wir so sterben wir dem Herrn ist des Junkers Seeligen jeder Trostspruch gewesen)

Großsachsen ging derweil andere Wege. Für das Jahr 1288 ist die direkte Herrschaft der Pfalzgrafen über Großsachsen bezeugt. In diesem Jahr übertrug Pfalzgraf Ludwig II. seiner Gemahlin Mechthild von Habsburg Großsachsen und eine Anzahl weiterer Orte zur Morgengabe.

Ausschnitt der Urkunde von 1288

Zwar gaben die Pfalzgrafen in der Folge einige Zehntrechte auf der Großsachsener Gemarkung als Lehen aus, behielten aber die Ortsherrschaft selbst in eigenen Händen. Ein Grund dafür könnte in der Straßenlage Großsachsens gesehen werden. Wie in einem Trichter liefen hier wichtige überregionale Straßen zusammen.

Straßen am unteren Neckar

Damit war der Ort auch wie geschaffen zur Anlegung einer pfalzgräflichen Zollstation. Tatsächlich lieferte der Großsachsener Landzoll   beachtliche Summen in die Kasse der Landesherrschaft. Während die Landstraße Leutershausen links oder auch rechts, je nachdem, liegen ließ, führte sie durch Großsachsen hindurch, brachte den Wirten und Schmieden Verdienstmöglichkeiten und versorgte die Großsachsener „Brückehocker“ mit Nachrichten aus der weiten Welt.

Da der Pfalzgraf seine unmittelbare Herrschaft über Großsachsen nicht aus der Hand gab, war für eine Zwischengewalt wie in Leutershausen oder auch in Lützelsachsen (Landschad, später Hundheim) hier kein Raum.

 Wappen des Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz 1548

Hatten die Leutershausener (mit Unterbrechungen im 17. Jahrhundert) stets zwei Herren zu dienen: den Junkern Hirschberg, später den Grafen Wiser als Ortsherren und dem Pfalzgrafen bzw. Kurfürsten von der Pfalz als Landesherren, so hatten Großsachsener nur einen Herren, genossen damit in gewisser Weise mehr Freiheit als ihre Leutershausener Nachbarn. Außerdem waren dieser Herr oder seine Amtleute selbst nicht vor Ort und konnten somit nicht, wie in Leutershausen, den Untertanen ständig über die Schulter schauen!

Wappen der Grafen Wiser

Diese Tatsache führte dazu, dass die Großsachsener, Gemeinde wie auch Schultheiß und Gericht sich immer wieder Eigenmächtigkeiten herausnahmen, die nicht im Sinne der Herrschaft waren. Ab und zu bewirkte dies freilich ein Donnerwetter: so 1776, als das Heidelberger Oberamt an Schultheiß und Gericht die Weisung ergehen ließ, sich künftig eigensinniger Unternehmungen gegen wohlgemeinte Verordnungen der Herrschaft zu enthalten, dies auch unter dem Aspekt, dass sie zur Beurteilung solcher Verordnungen nicht fähig seien!

Noch in einem weiteren Punkt äußerte sich das größere Maß an Freiheit der Großsachsener, nämlich in der heiklen Frage des Frondienstes. Frondienst bedeutete den Zugriff der Herrschaft auf Arbeitskraft und Zeitbudget des Untertanen. Als Untertanen des Pfalzgrafen waren die Leutershausener und Großsachsener diesem zur Leistung von Frondiensten verpflichtet; hier standen sich die beiden Dörfer gleich: gemeinsam hatten sie dem Köhler, der die Holzkohle für die Herrschaft herstellte, das Holz auf den Kohlplatz zu schaffen. Gemeinsam transportierten sie das Jagdzeug, wenn die Herrschaft zwischen Leutershausen und Weinheim jagte; gemeinsam transportierten sie das erlegte Wild nach Heidelberg zum Hof. Gemeinsam führten sie das Heu von der Herrenwiese in Weinheim in die Heidelberger Heuscheuer. Gemeinsam waren sie für den Gefangenentransport von Weinheim nach Heidelberg zuständig. Schreiben der Herrschaft hatten sie in den jeweils benachbarten Ort weiterzureichen. Daneben forderte die Kurpfälzer Landesherrschaft weitere Frondienste nach Bedarf an, so im 18. Jahrhundert zur Anlegung der chaussierten Landstraßen oder auch zum Ausheben des Schlossparkteiches in Schwetzingen.

Den Leutershausenern wurden aber noch weitere Dienste durch ihren Ortsherrn abverlangt, die den Untertanen viel Zeit und Mühen kosteten. Hier eine unvollständige Aufzählung: Beförderung von Briefen und Befehlen der Herrschaft, Botengänge nach Mannheim, Lerchenjagdfron, Transport der herrschaftlichen Weine und Früchte (Getreide), Mähen, Dörren und Transportieren von Heu und Ohmet, Beischleppen von Wasser in die herrschaftlichen Gärten, Eisbrechen und Einlagern des Eises in den Eiskeller, Holzmachen, Säubern der Gräben, Ein- und Austragung der Orangerie usw.

Schließlich wehrten sich die Untertanen gegen das Übermaß durch Akte der Verweigerung und Klagen vor der Regierung und dem Kurfürsten selbst. Dies rief wiederum ungnädige Reaktionen der Ortsherren hervor, die sich über der „Baueren Stoltz und deren ohnbändigen Wollmuth“ beklagten und von der Regierung eine „eclatante Satisfaction“ gegenüber den „ehrvergessenen“ Bauern forderten. Gegen einzelne Dienstverweigerer verhängten die Ortsherren Strafen, was 1781 dazu führte, dass ein vom Amtmann losgeschicktes Pfändungskommando unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, da sich der eine Verweigerer, Adam Gutfleisch, mit der Mistgabel zur Wehr setzte, der andere, Philipp Bitzel, gar zum Beil griff.

Flurkarte von Leutershausen 1777

Die Großsachsener konnten diesen Vorgängen, die sich von etwa 1750 bis 1790 hinzogen, entspannt zusehen. Sie selbst waren von diesen Problemen nicht betroffen.

Benachteiligt waren die Leutershausener noch in einer anderen, aber ganz wesentlichen Frage, der Frage nach dem Besitz bzw. dem Zugang zu Grund und Boden. In Großsachsen gehörte das Obereigentum an Grund und Boden im wesentlichem dem Pfalzgrafen. Dies aber bedeutete, dass sich in Großsachsen im Verlauf des Mittelalters ein freies Bauerntum entwickeln konnte. Die Großsachsener verfügten frei über den von ihnen bebauten Boden; der Pfalzgraf zog lediglich eine Art Anerkennungsgebühr seiner Oberhoheit über den Boden ein, die so genannte Acker- und Weinbede.

                                                                                                         Grundbesitz in Leutershausen  1777

In Leutershausen lagen die Verhältnisse grundlegend anders. Hier waren Grund und Boden in den Händen so genannter Gefreiter. Zu ihnen gehörte vor allem die Inhaber des Hirschberger Lehens, die Junker Hirschberg und ihre späteren Nachfolger, wie die Grafen Wiser. Zusammen mit ihren Eigengütern verfügten sie über den Großteil der Leutershausener Gemarkung. Weitere „Gefreite“ waren das Heidelberger Augustinerkloster, dessen „Augustinergut“ nach der Reformation von der Kurpfälzer Landesherrschaft an sich gezogen wurde; das Kloster Schönau, in seiner Nachfolge die Kurpfälzer Geistliche Administration. Es waren dies Güter, die zum Marbacher Hof gehörten. Dem Mainzer Domstift  - Kollektur Heppenheim – gehörten weitere Güter. Das so genannte Jesuitengut stand vor der Reformation dem Kloster Neuburg zu. Schließlich ist der Deutsche Orden mit seinem Haus Weinheim als „gefreiter“ Grundbesitzer zu nennen. Weiterer adliger Streubesitz sei übergangen. Der bäuerliche Eigenbesitz war äußerst gering, die Felder zudem in schmalste Parzellen zerschnitten.

Wer also in Leutershausen als Landwirt sein Leben fristen wollte, war darauf angewiesen, Äcker, Wiesen und Weinberge aus dem Eigentum der „Gefreiten“ als Erbpächter, Temporalpächter oder Teilpächter zu bebauen. Was dies bedeutete, drückten die Betroffenen um 1780 so aus: Pachtbesitz könne nicht unter die Rubrik „Vermögensstand“ fallen; der Pächter besitze letztlich nur „fremdes Gut“ und zackere um das tägliche Brot. Nach entrichteter Pacht bleibe ihm nur der dritte oder gar vierte Teil des Ertrages übrig. An ein wirkliches Vorwärtskommen war unter diesen Umständen nicht zu denken. Viele der kleinen Pächter konnten sich Pferde oder Ochsen als Zugvieh nicht leisten. Sie mussten deshalb Zugvieh zum „Zackern“ gegen „Zackerlohn“ anmieten, was ihren Ertrag weiter schmälerte. Hinzu kam, dass die Besitzer von Zugvieh dieses erst herliehen, wenn die eigenen Felder bestellt waren, womit die Kleinpächter ggf. in zeitliche Bedrängnis gerieten.

Daneben mussten die Leutershausener Pachtwilligen auch noch die Konkurrenz von Auswärtigen erdulden, so lassen sich insbesondere für Grundstücke auf dem Rott Pächter aus Großsachsen und Heddesheim nachweisen.

Gegen diese Ungunst entwickelten die Leutershausener eine eigene Strategie: wenn es irgend ging, erwarben sie in den benachbarten Gemarkungen freies Bauernland und so waren die Leutershausener als so genannte Ausmärker in Großsachsen und Schriesheim stark vertreten.

Dies lässt sich schon für 1439 anhand des „Registrum exaccionis“ eindrucksvoll belegen; an der Gesamtsumme der Großsachsener Steuerschuld gegenüber dem Pfalzgrafen von etwa 510 Gulden hatten die Leutershausener Ausmärker immerhin 120 Gulden zu tragen. 1728 waren 63 Leutershausener Einwohner auf Großsachsener Gemarkung mit Liegenschaften begütert, während zum Vergleich nur 20 Eigentümer aus dem freilich auch bevölkerungsärmeren Hohensachsen stammten. 1801 war die Zahl der Leutershausener Ausmärker in Großsachsen im Zuge der Bevölkerungsvermehrung auf 111 gestiegen. Auch auf Schriesheimer Gemarkung waren die Leutershausener unverhältnismäßig stark vertreten.

Hier findet sich für 1767 die Zahl von 69 Leutershausener Ausmärkern. Aus Dossenheim, das über etwa ebenso viele Einwohner wie Leutershausen verfügte, stammten nur 31 Ausmärker. Wie dieses Ausgreifen der Leutershausener auf die umliegenden Gemarkungen im Einzelnen geschah, bleibt noch zu untersuchen. Ich vermute, dass hier nicht zuletzt mittels Heiratspolitik gearbeitet wurde. Zu vermuten ist auch, dass dieser Expansionsdrang den Leutershausenern wenig Freunde in der Nachbarschaft machte.

Von dem hier geschilderten Problem blieben die Großsachsener weitgehend verschont: der einzige nennenswerte „gefreite“ Grundbesitz bestand in Form des Marbacher Hofes und der zu ihm gehörenden etwa 80 Morgen Acker-, Wiesen und Wingertgelände. Ursprünglich durch das Kloster Schönau selbst bebaut, gab die Geistliche Administration als Nachfolger des Klosters das Gelände schließlich in Erbpacht aus. Dies führte wiederum dazu, dass im Gefolge der so genannten Bauern-befreiung zu Anfang des 19. Jahrhunderts auch hier freier Besitz entstand.

Plan des Marbacher Hofbesitzes

Grenzstein des Marbacher Hofbesitzes

Ein weiterer sehr wesentlicher Unterschied bestand zwischen unseren beiden Orten in der Frage des Zugangs zum Lebenselixier Wasser. An Wiesen, so heißt es 1788 aus Leutershausen, gebe es mehr nicht als 28 ½ Morgen in schlechter Lage, „weil dahier keine Bach vorfindlich“. Angesichts des notorischen Wassermangels auf Leutershausener Gemarkung musste es auf die Leutershausener fast wie eine Provokation wirken, wenn sie in Großsachsen „die“ Bach auf der Landstraße überquerten und dabei den unmittelbar am Bachufer stehenden Laufbrunnen passierten.

Ortsbrunnen von Großsachsen von ca. 1610

Die Großsachsener hatten, so teilte es dieses Ensemble mit, selten zu wenig, manchmal allerdings eher zu viel Wasser. Von dem Wasserreichtum sprachen auch die neun Mühlen, deren Räder vom Apfelbach getrieben wurden, und auch die Standortwahl für die Presshefefabrik („Alte Tabakfabrik“) war nicht zufällig.

Schrödersmühle   

Die Wasserknappheit in Leutershausen, führte schon 1518/19 zu einem Streit zwischen dem Ortsherrn, dem Junker Friedrich von Hirschberg, und der Gemeinde. Die von Hirschberg, so die Klage des Junkers, hätten von jeher einen „Bronnenfluß“ in ihrem Hof zu Leutershausen gehabt, der ihnen aber 1518 durch die Gemeinde „abgewendt“ worden sei. Der 1519 geschlossene Vergleich sah vor, dass der Junker das Recht haben sollte, von dem „bronnen ein zimlich klein rörlein“ in seinen Hof führen zu lassen, „doch das dem gemeinen wasser auf der gemeinen almend [...] nit zu viel entzogen werde“. Auffällig ist, dass die drei Adelshöfe in Leutershausen, der Obere oder Wasserhof [!], der Untere Hof und der Frankensteiner Hof, in dem Teil des Dorfes dicht bei einander liegen, der mit zwei Brunnen, dem oberen und dem mittleren Brunnen, noch verhältnismäßig gut mit Wasser versorgt war. Der untere Brunnen stand an der Drehscheib. 1790 lässt sich das Vorhandensein von  zwei zusätzlichen Pumpbrunnen nachweisen; es ist hier die Rede vom einem Pumpbrunnen im unteren Dorf und einem an der „Mittengass“. Schließlich wurde 1790 am südlichen Ortsausgang, beim Schriesheimer Tor, ein weiterer Brunnen gegraben.

Auch in der Feldflur sind Brunnen überliefert. 1699 wurde dem Feldschütz aufgegeben, zur Sommerzeit „fleißig“ Wasser aus dem Brunnen im Hombusch zu schöpfen. Es handelte sich bei diesem Brunnen wohl um einen Stangenbrunnen, ähnlich dem, den der Weinheimer Geometer Nikolai 1823 auf seinem Zusatz zum Leutershausener Gemarkungsplan von 1777 abgebildet hat. Dieser weitere Brunnen befand sich an der Einmündung des „Gemeinen Viehtriebsweges“ in den Heddesheimer Weg; die Flurbezeichnung „Am Brunnen“ verdankte ihm ihren Namen.

Das knappe und kostbare Gut Wasser bedurfte besonderen Schutzes. Anlässlich des Neujahrsgerichts von 1699 beklagte der Brunnenmeister Hans Gartner die Unrichtigkeiten an den Brunnen, als deren Verursacher er Weiber, Mägde und Kinder verantwortlich machte. Schultheiß, Gericht und Gemeinde verkündeten darauf eine Brunnenordnung, die es jedermann, „er sey, wer er wolle“, verbot, in den Brunnen Wäsche, Garn und Kübel zu schwenken, „herumb[zu]flößen und ab[zu]säubern“. All dies sollte nur „auß der Bronnenzargen“, außerhalb des Brunnentrogs also, erlaubt sein. Bewehrt wurde diese Ordnung mit der Strafandrohung von 15 Kreuzern „gemeiner Straff“, „und solle solches alhie zu einem ewigen Recht verbleiben und gehalten werden.“ Altem Herkommen gemäß wurde auch der bestraft, der mit dem Aussatz oder den „bösen Plattern über die Brunnen gienge“.

Wenn das Leutershausener Ortsbild heute von einer Vielzahl laufender Brunnen mitgeprägt wird, so ist das nicht Ausdruck eines natürlichen Wasserreichtums, sondern Ergebnis der modernen Versorgungsstruktur.

 „Leutershausen ist fast der einzige Ort an dieser Straße [Bergstraße], welcher viele Armen hat, indem der Grundherr, Graf von Wiser, viele Arme um ein geringes Schutzgeld aufnahm“. Mit dieser Feststellung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wird auf ein weiteres Charakteristikum Leutershausens verwiesen, das seinen Anfang im 18. Jahrhundert nahm. Die von den Grafen betriebene Bevölkerungspolitik brachte tatsächlich Menschen ins Dorf, die sich zunächst als Tagelöhner bei den Landwirten und Handwerkern durchschlugen oder selbst ein Handwerk betrieben. Die seit etwa 1870 in unserem Raum sich allmählich durchsetzende Industrie stellte dieser Bevölkerungsschicht Arbeitsplätze zur Verfügung; aus den Tagelöhnern wurden Arbeiter, die nach Mannheim und Weinheim auspendelten. Die seit 1846 bestehende Eisenbahnverbindung über den Bahnhof Großsachsen-Heddesheim und die Nebenbahn seit 1890 beförderten diese Entwicklung. Arbeitsplätze stellte auch das Gewerbe zur Verfügung. Einen traditionellen Schwerpunkt bildeten hierbei die Betriebe rund um den Bau. Den Durst der arbeitenden Bevölkerung löschte das Bier der wohl nicht zufällig gerade in Leutershausen entstandenen beiden Brauereien Förster und Schröder.                                                         

Das „gute Schröderbier“ floss beispielsweise Ende der 1920er Jahre anlässlich einer Tarifeinigung nach einem Streik im Leutershausener Baugewerbe.

 Brauerei Förster

Fahrpreistabelle der Main-Neckar-Bahn von  1846

               

Großsachsen blieb im Gegensatz hierzu länger und deutlicher von der Landwirtschaft beherrscht, die dem Ort, wie es heißt, lange einen mittleren Wohlstand bescherte. Wer mit offenen Augen durch das alte bäuerliche Großsachsen geht, kann dies an den stolzen Anwesen bis heute ablesen. Auf der anderen Seite bedeutete dies, dass der gewerbliche Sektor in Großsachsen schwach ausgebildet blieb. Die seit 1883 bestehende Presshefefabrik von Müller und Feder brachte zwar einen industriellen Touch ins Dorf, die Fabrik wurde von den Eingesessenen aber immer als Fremdkörper empfunden. Ihre Fabriksirene scheuchte nicht nur die Tauben auf den Dächern in regelmäßigen Abständen auf. Immerhin prägten die Fabrikantenvilla Feder und das „Beamtenwohnhaus“, das spätere Rathaus, die Großsachsener Landstraße  wesentlich mit. Arbeiterwohnhäuser und das etwas versteckte Türmchen des Wasserwerks erinnern weiter an dieses 1928 eingestellte Unternehmen. Als „Alte Tabakfabrik“ macht die alte Produktionsstätte im Augenblick von sich reden.

Die hier gezeigten Gegensätze zwischen beiden Orten machte sich auch politisch bemerkbar: Großsachsen blieb bis in die Jahre vor dem Dritten Reich eine Domäne der bürgerlich -konservativen Parteien, die ihre Stimmen bei der protestantischen bäuerlichen Bevölkerung fanden.

In Leutershausen mit seiner starken Arbeiterbevölkerung dagegen entwickelte sich die Sozialdemokratie bis 1919 zur stärksten politischen Kraft und nahm anschließend bis 1930 die zweite Position ein.

Ein weiterer Gegensatz tat sich in konfessioneller Hinsicht auf. Auch dazu der Hinweis auf sichtbare Zeichen: den Leutershausener Friedhof ziert ein Kreuz mit dem Errichtungsdatum 1880. Als Stiftung einer ungenannten Person (Graf Wiser?) ersetzte es mit Zustimmung des Gemeinderates ein bereits zuvor existierendes hölzernes Kreuz.

Leutershausener Friedhofskreuz

Was ist daran so bemerkenswert?

Soviel: Anlässlich der Erweiterung des Großsachsener Friedhofs 1877 hatte der zuständige katholische Pfarrer Lammert von Hohensachsen ein hölzernes Kreuz aufstellen lassen, das nach der kirchlichen Weihezeremonie wieder entfernt werden sollte. Als dies nicht umgehend geschah, richtete der Großsachsener Gemeinderat ein entschiedenes Schreiben an den Pfarrer und verlangte die alsbaldige Entfernung. Er stellte damit klar, dass er ein Zeichen der katholischen Frömmigkeit in Großsachsen nicht duldete – es war die Zeit des so genannten „Kulturkampfes“. 

Anders als in Großsachsen, wo die Katholiken auch nach dem Regierungsantritt der katholischen Kurlinie Pfalz-Neuburg im Jahre 1685 immer eine kleine Minderheit blieben, gewannen die Katholiken in Leutershausen zunehmend an Boden, bis sie fast die Hälfte der Bevölkerung stellten. Grundlage hierfür war das Wirken der Grafen Wiser. Sie Seit Antritt ihrer Herrschaft über Leutershausen im Jahre 1700 förderten sie den Zuzug von Katholiken mittels ihrer Befugnis, darüber zu entscheiden, wer im Ort von außen neu aufgenommen wurde, sei es als Bürger oder minderberechtigter Beisasse. Zunächst musste der Chor der alten Kirche dem katholischen Gottesdienst zu Verfügung gestellt werden. 1737 wurde die lauretanische Kapelle im Vorhof des Schlosses errichtet; sie nahm das Gnadenbild der Schwarzen Madonna auf. Damit wurde zugleich die heute noch bestehende Wallfahrt eingerichtet. 1752 erhielten die Katholiken eine  eigene Kirche in Anschluss an die Wallfahrtkapelle. 1905 bis 1907 entstand dann auf dem Boden des alten „Wasserhofes“ die neue katholische Kirche. Sie nahm auch das Gnadenbild auf.

Ehemalige katholische Kirche Leutershausen um 1900 (links)

Das Verhältnis zwischen den ungefähr gleich starken christlichen Konfessionen war von Spannungen nicht frei. Eine wichtige Rolle spielte für die Katholiken die Zentrumspartei, die bereits 1920 die Sozialdemokraten in Leutershausen auf den zweiten Platz in der Wählergunst verwies. In Großsachsen spielte das Zentrum der Konfessionsstruktur gemäß nur eine untergeordnete Rolle. Leutershausen dagegen  wurde in den 1920er Jahren, wenn wir das so sagen dürfen, von einer schwarz-roten großen Koalition beherrscht. 

 Leutershausen: Katholische Kirche und Schloss um 1960

Ein letzter hier zu nennender Unterschied in der Struktur der beide Orte entstand wiederum mit dem 18. Jahrhundert: aufgrund der Bevölkerungspolitik der Ortsherrschaft konnte sich in Leutershausen eine vergleichsweise große jüdische Gemeinde bilden. Sie erreichte 1864 mit 165 Seelen ihren Höchststand. 1933, zu Beginn der NS-Herrschaft, wurden noch 43 jüdische Menschen in Leutershausen gezählt. An die Blütezeit der durch den NS-Terror zerstörten Gemeinde erinnert der stimmungsvolle Raum, in dem wir uns heute Abend zusammengefunden haben. Nur wenige Schritte von hier steht das Gebäude, das zuvor seit dem 18. Jahrhundert die „Judenschul“ beherbergt  hatte. Unter dem Namen „Horst-Wessel-Haus“ diente es den Gliederungen der örtlichen NSDAP-Ortsgruppe als Quartier.

In Großsachsen blieb die Zahl der Juden stets weit geringer. Immerhin erinnert noch im Haus am Mühlgraben 14 die Mikwe, das rituelle Reinigungsbad daran, dass es auch in Großsachsen jüdisches Leben gegeben hat, bis es dem NS-Regime zum Opfer fiel.

Der von Deutschland begonnene Krieg endete in der bekannten Katastrophe. Eines seiner Ergebnisse war die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten und Südosten Europas. Großsachsen (1950: 374) und Leutershausen (1950: 652) nahmen eine Vielzahl von Vertrieben auf. Hierdurch und durch die bemerkenswerte Dynamik im Ballungsraum des Rhein-Neckargebiets, veränderten sich althergebrachte Verhältnisse. Die Bevölkerung wuchs beträchtlich. (1939: zusammen 3450; 2005: 9.400).  Äußeres Kennzeichen hierfür sind die Neubaugebiete in beiden Ortsteilen und die Errichtung der katholischen Christ-Königs-Kirche in Großsachsen 1964/65.                                                                                        

Der hier angedeutete Umbruch bewirkte auch ein Zusammenwachsen der beiden Orte durch gemeinsam genutzte Einrichtungen der Daseinsvorsorge: Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Müllbeseitigung, „Nachbarschaftsschule“ (Hauptschule).

 

 Katholische Kirche Großsachsen

Dies waren auch die Argumente der Befürworter des Zusammenschlusses von Großsachsen und Leutershausen zu einer „Einheitsgemeinde“. Die seit 1972 geführten Diskussionen im Vorfeld dieser Vereinigung kann ich hier nicht nachzeichnen: das wäre abendfüllend. Alte, überlebt geglaubte Animositäten wurden plötzlich wieder quicklebendig. Von einem „Glaubenskrieg“ spricht einer, der die Diskussion an vorderster Stelle miterlebt und mitgeführt hat. Mit der Vereinbarung vom 1.1.1974 schien die Vereinigung schon in trockenen Tüchern zu sein.

Doch dann drohte alles wieder an der Namensgebung zu scheitern. Leutershausen-Gro oder Großsachsen-Leu schieden aus. Die von den Bürgern eingeholten Vorschläge gingen von Bergstraßenau über Großleutersberg, Hundshirschbergen (provokativ gemeint), Sachsmühlen bis Weinhausen, um nur wenige zu nennen. Einer der um seine Meinung befragten Bürger schrieb: „Ich halte einen neuen Namen für ausgesprochen überflüssig; er würde nur noch mehr Kosten verursachen, als ohnehin schon entstehen“. Schließlich konnte man sich auf den Vorschlag „Hirschberg“ einigen, der insbesondere die Unterstützung des als Sachverständigen herangezogenen Heidelberger Historikers Meinrad Schaab fand. Rektor Wild steuerte einen Wappenentwurf bei, der die Grundlage für das 1977 der Gemeinde Hirschberg verliehene Wappen bildete.

Entwurf eines Hirschberger Gemeindewappens von Theo Wild

So konnte zum 1. 1. 1975 die neue Gemeinde Hirschberg an der Bergstraße ins Leben treten. Die Wiedervereinigung der aus gemeinsamer Wurzel entstandenen Orte Großsachsen und Leutershausen war nach Jahrhunderten getrennten Lebens vollzogen. Damit war die Grundlage dafür gelegt, dass sich die nunmehrigen Ortsteile Schritt für Schritt auf einander zubewegen konnten. Den Erfolg dieses Prozesses können die hier Anwesenden besser beurteilen als ich. Wenn es aber sogar möglich war, dass sich, wie gerade geschehen, die beiden Freiwilligen Feuerwehren auf  einen künftigen Standort für ein gemeinsames Feuerwehrhaus einigen konnten, dann kann es um die „innere Einheit“ Hirschbergs im Jahre 31 seiner Entstehung so schlecht nicht stehen.

Rainer Gutjahr